Ich überquerte den Bürgersteig wobei ich Aufpassen musste nicht aus einer Schicht aus glitschigem Mulch aus Papierresten von Tüten und Verpackungen und faulenden Blättern auszurutschen. Der Eingang zur Bar war nur mit einem Tuch verhangen und die schwere Stahltür die eher an einen Bunkereingang erinnerte war nach außen geöffnet.
Ich holte
einmal tief Luft um mich für mein erstes kriminelles Unternehmen zu stärken und
bereute es sofort wieder, denn die Luft vor der Kneipe konnte im besten Fall
keinen asthmatischen Anfall auslösen, stärken konnte es gar nichts. Dann schlug
ich den Vorhang zurück und ging hinein. Drinnen sah es genauso herunter
gekommen aus wie befürchtet. An einem Ecktisch saß ein Elf mit zwei Normfrauen,
ein Ork hinter dem Tresen schenke an einen grauhaarigen Alten irgendein
bräunliches Getränk aus. Die Mitte des Raumes wurde von einem Billarttisch mit
einer flackernden türkisfarbenen Neonröhre eingenommen die wohl aus den
besseren Zeiten des Etablissements stammte. Alles andere an der Bar war
weitegehend in Schwarz gehalten, einstmals edel, inzwischen eher eklig.
Ich bemerkte,
dass sich die Blicke der Anwesenden mir zugewandt hatten und ich wusste auch
sofort warum. Während ich die Kleidung trug welche man bei der Evo-Corporation
für außendienstliche Einsätze empfahl, nämlich die mit dünnem Kevlar und Kunstseidengewebe
verstärkte Jacke mit dazu passender Hose, herrschte in dieser Kneipe eine
Mischung, aus Kunstleder, Camouflage und nietenbeschlagenem Kevlar vor. Ich
passte in diese Kneipe wie eine Primaballerina in ein Urban-Brawl-Team. Doch
was sollte ich machen? Draußen vor der Tür lauerten menschliche Bestien, die
eine leichte Beute wie mich zum Frühstück foltern, zum Mittag vergewaltigen und
meine Organe zum Abendessen an eine Organbank verkauften. Ich musste sehen dass
ich mich hier irgendwie durch redete.
Der Ork
hinter dem Tresen schien den Schrecken meines Anblicks verdaut zu haben,
spuckte in ein Glas und wischte es dann mit einem fleckigen Tuch vermeintlich
sauber. Ich überprüfte mit meiner AR-Brille kurz was ich befürchtet
hatte. Ich war in „Ray’s Bar“ gelandet und nicht in der „Rails Bar“. Nun gut,
was hatte meine Mutter immer gesagt? Aufstehen, Krönchen richten, weiter gehen.
Ich faste mir also ein Herz und ging auf den Ork zu und fragte: „Bekommt man
hier auch ein Bier?“ Er musterte mich von oben bis unten und fragte im
typischen Orkslang, der lauf der führenden Logopäden durch die vorstehenden
Eckzähne begünstigt wurde: „Willse Glas oa Flasche?“. Eingedenk der
Geschirrreinigungsmethoden dieser Gaststätte entschied ich mich für die
Flaschenvariante und fand außerdem, dass es mich sicher cooler wirken ließ wenn
ich aus der Flasche trank. Der Barkeeper langte unter den Tresen und holte eine
Flasche Soybier hervor, öffnete sie mit den Zähnen und spuckte einen rostigen
Kronkorken in ein Glas vor sich auf den Tresen. Er reichte mir die Flasche mit
dem fleckigen Etikett und grunzte: „Tswei Nuyen.“ Ich gab den Betrag über meine
AR-Brille von meinem Konto frei, ergriff meine Flasche und drehte mich so, dass
ich mit dem Rücken am Tresen lehnte. Leider kam ich nicht dazu mir Gedanken um
die einzelnen Leute zu machen, den der Elf hatte sich von seinen beiden
Trinkkumpaninnen getrennt und kam nun mit der lässigen Nonchalance, welche den
meisten Womanizern inne wohnt, auf mich zu. Die schwere Panzerjacke knarzt
leise als er sich vor mir aufbaute, er war für einen Elfen nicht besonders
groß. Er lächelte mich an und fragte: "Glaubst Du an Liebe auf den ersten
Blick oder soll ich noch mal rein kommen?"
Ich zog eine
Augenbraue hoch und versuchte nicht zu Lachen. In Kreisen wie diesen musste man
cool und gelassen wirken, auch wenn dieser Aufschneider durchaus ganz
ansehnlich war. Ich wollt hier zwar jemanden Treffen, aber sicher nicht für
diese Art von Biochemie. Bestimmt nahm dieser Typ eine ganze Apotheke voller
Drogen. Alle Gossenpunks taten das. Ich lächelte also selbst und sagte, während
ich einen deutschen Akzent immitierte: "Lass mal, ich suche eher nach was
anderem." Er sah mich mit einem Blick an der mich befürchten ließ er würde
mir direkt die Zunge in den Hals stecken wollen und antworte "Alles was Du
willst, Schönheit." Ich lehnte mich mit einer Verschwörermine zu ihm
herüber und flüsterte: "Ich suche nach Drogen. Alle zu Hause sagen, dass
es in den UCAS die besten Drogen gibt."
Er lächelte
so gewinnenden als würden wir einander schon seit Jahren kennen: "Süße,
ich kann Dir Freuden zeigen die jenseits aller chemischen Stimmungsmacher
liegen." Alles klar, der Typ war ein Zuhälter und die beiden Mädels seine
Nutten. Wobei sie nicht wirklich wie Nutten gekleidet waren.
"Ach,
ehrlich? Und was sagen deine beiden Freundinnen da drüben dazu? Ich bin sicher
das sind deine Cousinen?" Ich deutete
mit einem leichten Kopfnicken in die Richtung der beiden Frauen an dem
Ecktisch, von denen die eine unverhohlen zu uns herüber sah und offensichtlich
die Show genoss.
"Nein,
das sind eher...Arbeitskolleginnen."
"Ja,
sicher. Und das ist eure Aufsichtsratssitzung?"
"Das da
vorne ist Ari und die andere ist Mara. Ich bin Pretty Joe und Du kannst es Dir
gerne ansehen, wenn Du willst. Wie heisst Du eigentlich? Und was kannst Du
denn?"
"Ach
Namen sind nur Schall und Rauch. Und ich kann Chemie."
"Chemie?"
er sah mich an als hätte ich ihm gerade in den Soykaff gepinkelt.
Ich nickte.
Er inspizierte
mich noch einmal, dann nickte er und veranstaltete irgendwas mit seinem
Komlink. Wahrscheinlich kommunizierte er mit Mara und Ari. Schließlich sagte
er: "Na dann komm mal rüber, an unseren Tisch." Ich ergriff meine
Bierflasche von der ich in Todesverachtung tatsächlich einen Schluck genommen
hatte ohne, dass mir direkt übel wurde.
"Das
hier sind Mara und Ari und das hier..." er deutete auf mich "...ist
Dreamgirl. Ari, ist bei deinem Schieber noch Geld für einen Chummer drin?"
Der Name Dreamgirl,
gefiel mir irgendwie nicht auch wenn es nett klang wie er ihn aussprach, aber
er ließ mich vor den anderen ziemlich hart dreinblickenden Rockerladies
irgendwie als Tussi dastehen. Ich beeilte mich daher mir nun doch einen Namen
zu geben. In diesen Gegenden war es sicher nicht gut seinen echten Namen auszuposaunen,
oder zumindest den auf seiner SIN. In der Serie mit dem Chemielehrer hatte er
sich Heisenberg, nach dem deutschen Physiker und Nobelpreisträger Karl Werner
Heisenberg, genannt. Ich überlegte es ihm gleich zu tun, fand den Namen aber
durch die Serie nun verbraucht. Die einzige Chemikerin die mir einfiel war
Anette Beck-Sickinger, ebenfalls eine Deutsche, Biochemikerin, sie hatte auf
dem Gebiet der Peptid-Rezeptor-Wechselwirkungen einiges geleistet. Allerdings
nicht zu vergleichen mit der Heisenberg'schen Unschärfe-Relation und der
Quantenmechanik. Somit wählte ich den einzigen Namen der mir spontan einfiel
und sagte: "Mein Name ist Sally und ich bin Biochemikerin."
Die Frau,
die mir als Ari vorgestellt worden war sah mich misstrauisch an. Dann wandte sie
sich mit fragendem Blick an Joe. "Eine Chemikerin? Was für'n Zufall."
Beide
schienen kurz über irgendeine Verbindung zu kommunizieren.
Schließlich
fragte sie mich: "Für wen arbeitest Du?"
Ich verstand
es eher als eine Frage nach meinen Referenzen und antwortete: "Ich habe am
M.I.T. studiert und habe zuletzt für die Forschung von Evo-Gearbeitet. Ich war
wirklich, wirklich gut. Ich kann nahezu alles kochen, destillieren, filtern und
analysieren was man sich denken kann, wenn ich ein Labor habe. Bei Evo hatte
ich ein geiles Labor, das glaubt ihr nicht. Wir konnten gerichtete Phenyl- oder
Ethylgruppen an spezielle Loci einzelner Proteine anfügen. Wir hatten ein Rasterelektronenmikroskop
mit dem man...." ich bemerkte wie Mara, Ari und Joe mich ansahen als hätte
ich meinen BH über die Jacke angezogen und unterbrach meinen Redeschwall:
"...nun ja, leider habe ich derzeit kein Labor und wollte fragen ob ich
bei Euch einsteigen kann."
Mara nimmte
an ihrem Bier und fragte: „Und warum bist Du nicht mehr in deinem schicken
Labor?“
Ich lächelte
entschuldigend: „Das lag an meinem Chef.“
Ari sah mich
direkt an und das Mistrauen in ihrer Stimme war nicht zu überhören: "Wer
schickt Dich?"
Ich lächelte
"Niemand, ich bin aus freien Stücken hier, weil ich… Wenn ich nicht schnell
an Geld komme, bin ich Ende des Monats pleite." Wenn ich mir noch mehr
Taxifahrten gönne schon Ende der Woche, fügte ich Gedanken an.
"Also
ich hab da ne Idee wie Du gleich da hinten Geld verdienen könntest...."
grinste Joe und deutete auf eine Tür hinter dem Tresen.
Mara rollte
mit den Augen und murmelte: "Pretty!"
"Ich
suche zwar gerade nach einem Job, aber ich dachte an was wo ich meine Sachen
anbehalten kann." erwiederte ich.
Ari wandte
sich an Joe: "Das stinkt doch. Kannst du sie irgendwie überprüfen?"
In dem Augenblick
spürte ich wie sich irgendetwas um meinen Kopf – nein, eher um meinen Verstand
- oder besser meine Seele zusammen zog. Es war als würde sich eine Hand um
alles schließen was mich ausmachte, alle Träume, alle Wünsche, alle
Erinnerungen, alle trivialen Gedanken die ich so nebenbei gehabt hatte und dann
war es als versuche ein Finger dieser Hand sich zwischen diese Gedanken zu
schieben. Aber er konnte nicht hinein. Bestimmt war das irgendeine Magie. Ich
hatte mal gelesen, dass Magie weitgehend auf Täuschungen basierte, die sich
unser logisches Denken eben nicht anders erklären kann und dann eben sich
selbst die Auswirkung der Magie als logischste Konsequenz selber suggeriert.
Ich redete mir ein, dass es nicht möglich war dass jemand mit seiner Hand
meinen Geist umfasste und dass es noch unmöglicher war, dass man mit einem
Finger in den Geist eindringen kann. Es funktionierte, der Finger prallte auf
eine Wand. Meine Gedanken waren wie hinter einer Gummiwand. Ich spürte den
Druck des Fingers, doch er konnte nicht herein. Schließlich ließ der Druck
nach.
Ich merkte,
dass ich die Augen geschlossen hatte und mir mit beiden Händen die Schläfen
massiert hatte. Mara und Ari beobachteten Pretty Joe und mich aufmerksam. Hatte
er gerade versucht mich zu verzaubern? Echt jetzt? Pretty Joe war ein
Magier?
"Sag
mal, versuchst Du gerade irgendeine Magiescheiße bei mir?" fragte ich ihn
deutlich aggressiver als ich eigentlich wollte.
Er atmete
einmal tief durch und strich sich dann eine seiner blonden Strähnen aus der
Stirn und seufzte: "Okay, Dreamgirl, wir müssen wissen ob Du keine Spionin
oder Saboteurin bist. Ich kann das mit einem Zauber heraus finden, aber wenn Du
dich dagegen wehrst klappt es nicht. Würdest Du mich also bitte nachsehen
lassen?"
"Wo?"
"In
deinem Geist"
Ich rutschte
ein Stück mit meinem Stuhl zurück: „Vergiss es! In meinem Kopf sind
Forschungsergebnisse im Wert von Milliarden Nuyen, für die manch ein Konzern
töten würde!"
"Ich
verspreche Dir, dass ich diese Teile deines Gedächtnisses in Ruhe lasse."
Klang nicht
sehr vertrauenerweckend. Doch da kam mir eine Idee. Die Forschungsdaten waren
weitgehend wertlos. Evo hatte sie noch und ohne mich konnte kaum ein anderer
Konzern was damit anfangen. Aber ich war unbewaffnet in einer der übelsten
Gegenden von Seattle gelandet. Mit Hilfe eines Magiers sollte ich hier ohne
Probleme wieder weg kommen uns sparte vielleicht das Taxi.
"Okay,
Du schaust nicht auf meine Vorlieben, Hobbys, PIN-Nummern oder
Forschungsgedanken und Du bringst mich am Ende dieses Abends bis vor meine
Haustür nach Tacoma, dann haben wir einen Deal."
"Schönheit,
ich bringe Dich wohin Du willst. Deal."
Und schon
spürte ich wieder die Hand an meinem Geist. Dieses Mal aber sie umspühlte mich
dieses Mal eher wie warmes Wasser ein Rinnsal floss zwischen meinen Gedanken
hindurch wie Quellwasser sich den Weg durch Fliesenfugen sucht und drang in das
Mosaik meiner Gedanken ein.
Schließlich
hatte das Rinnsal den Kiesel erreicht den es gesucht hatte. Ich merkte dass
Pretty Joe sah, dass alles was ich gesagt hatte wahr war und dass ich keinen
Auftraggeber hatte. Der Wasserfluss versiegte das Rinnsal trocknete aus. Mein
Geist war wieder frei.
"Sie
ist sauber." gab Joe bekannt. Ich sah ihn an und war beeindruckt. Pretty
Joe war ein Aufschneider, ein Macho und Schürzenjäger, aber er hatte alles was
mein Liebesleben betraf tatsächlich in Ruhe gelassen. Er war offenbar
vertrauenswürdiger als er sich gab. Ich war dankbar, dass er nicht die Sache
mit Pat Rogers auf der High-School herausgefunden hatte, Pat hatte sich später
in einen Gnom verwandelt.
"Okay
Dreamgirl, dann lass mal hören ob Du mitmachen willst. Laut Aris Schieber haben
wir noch Budget für eine weitere Person bekommen. Du bekommst 2000 Nuyen und
die Sache muss Übermorgen vorbei sein. Was sagst Du?"
"Ich
muss aber nichts gefährliches machen oder?"
"Du
kannst deine Klamotten dabei anlassen, das war doch deine Vorgabe oder?"
warf Joe ein.
Nun ja, da
war der Moment wo ich die Hosen runter lassen musste. Ich überschlug kurz: Top
oder Flop. Nächste Woche pleite oder ich könnte weitere zwei Monate überleben
wenn ich etwas sparsam wirtschaftete. Klar, ich konnte auch bis übermorgen
erschossen werden. Wahrscheinlich war erschossen werden ein angenehmerer Tod
als auf dem Sofa meiner winzigen Wohnung zu verhungern.
"Ich
bin dabei."
Meine drei
neuen Teammitglieder lächelten und Pretty Joe sagte:
"Willkommen
in den Schatten."
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Quellenangaben:
Spielleitung: Shadow
Regelwerk: Shadowrun 5
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